Eva Aras: Stalingrad – ein Symbol für die Unsinnigkeit des Kriegs
Am Tag der Befreiung beschrieb Eva Aras am Hansaplatz Köln das Kriegsgedenken in Wolgograd (ehem. Stalingrad):
Ich begrüße Sie alle und freue mich, dass so viele gekommen sind, um des heutigen wichtigen Tages zu gedenken.
Heute vor 76 Jahren wurde der 2. Weltkrieg beendet, der bisher gewaltigste Krieg mit 65 Millionen Opfern. Die Sowjetunion hat mit 27 Millionen Toten die Hauptlast getragen, und hauptsächlich konnte durch den Einsatz der Roten Armee Deutschland vom Faschismus befreit werden. Das wird leider von unseren Regierenden nicht genügend gewürdigt und auch nicht von der Presse – nichts stand heute über den 8. Mai im Kölner Stadtanzeiger. So jährt sich dieses Jahr am 22.6. der Überfall auf die Sowjetunion zum 80. Mal, und unser Bundespräsident Herr Schäuble hält es nicht für nötig, eine gemeinsame Gedenkveranstaltung des Parlaments stattfinden zu lassen.
Unserer Partnerstadt Wolgograd – dem damaligen Stalingrad – kommt im 2. Weltkrieg eine ganz besondere Rolle zu: Dort hat es insgesamt auf beiden Seiten die größten Opfer gegeben: Auf sowjetischer Seite kamen im Kampf 400.000 Menschen ums Leben. Bis zu 300.000 Soldaten der Wehrmacht und ihrer Verbündeten wurden eingekesselt; ca. 110.000 Soldaten und Verbündete kamen in Kriegsgefangenschaft, wovon 6.000 zurückkehrten. In Stalingrad selbst gab es die erbittertsten Kämpfe, die Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht. Deshalb ist bis heute diese Stadt im kollektiven Gedächtnis der Russen und Deutschen fest verankert als Symbol für die Unsinnigkeit des Krieges – das soll nie wieder stattfinden!
Leider befinden wir uns in einer Zeit, in der der Kalte Krieg sich wieder gefährlich ausbreitet: Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, spricht von einer Situation, die explosiver sei als im Kalten Krieg. Der ehemalige Bundeswehrinspekteur Harald Kujat vergleicht die heutige Situation mit 1914. In einem Online-Vortrag vorgestern stellte Matthias Platzeck sein neues Buch „Wir brauchen eine neue Ostpolitik“ vor und verwies noch einmal deutlich auf die Politik von Willi Brandt und Egon Bahr. In den schlimmsten Zeiten haben die beiden den Kalten Krieg durch „Wandel durch Annäherung“ überwunden.
Ich möchte noch einmal auf Wolgograd zurückkommen: Wie bereits oben gesagt, wurde das ehemalige Stalingrad im Krieg dem Erdboden gleichgemacht. In der Stadtmitte steht heute ein einziger Baum, der den Krieg überdauert hat – er wird gehegt und gepflegt als Symbol für das Leben. In Erinnerung an die schlimmsten Kämpfe wurde in den 60ger Jahren eine große Anlage mit zahlreichen Skulpturen errichtet, wo auf dem Gipfel – die heftig umkämpfte Höhe 102 – die “Mutter Heimat” steht, 85 m hoch. Aus ganz Russland kommen hier immer wieder Besucher hin, denn die Erinnerung an den Krieg ist in Russland bis heute in jeder Familie präsent, weil es in jeder Familie Tote gab. Ein Teil des Ensembles ist die Ruhmeshalle, in der in permanenter Schleife „Die Träumerei“ von Schumann gespielt wird – das scheint mir besonders erwähnenswert. In der Innenstadt befindet sich das neue Panorama-Museum. das auf einer 120 m langen und 16 m hohen Leinwand drastische Szenen der Stalingrader Schlacht abbildet. Die Innenstadt Wolgograds selbst ist nach dem Krieg von deutschen Kriegsgefangenen neu aufgebaut worden – weitläufig und mit viel Grün dazwischen.
Ein wichtiger Erinnerungsort liegt 40 km außerhalb der Stadt, der Soldatenfriedhof Rossoschka. Man fährt durch die Steppe und findet einen russischen und einen deutschen Soldatenfriedhof – nebeneinander – was für ein Symbol! Bei unseren Reisen legen wir immer an beiden Orten Kränze nieder. Schon zweimal haben Reiseteilnehmer*innen die Namen ihrer vermissten Verwandten dort gefunden – das war bewegend. So schwer die Kriegserinnerungen sind, so herzlich sind die Begegnungen mit Wolgograder Bürgern. Sie signalisieren immer ganz deutlich, wie gerne sie mit uns in Kontakt bleiben wollen, und jedes Mal freuen wir uns über die großzügige Gastfreundschaft, die bei uns nicht mehr so selbstverständlich wie dort ist.
Wie Frau OB Reker in ihrem Grußwort erwähnt hat, unterhalten wir das Hilfsprojekt für ehemalige Zwangsarbeiter*innen, wo sie medizinisch, pflegerisch und sozial betreut werden. Das ist momentan unser wichtigstes Projekt. Darüber hinaus tauschen wir Marathonläufer*innen aus und organisieren deutsch-russische Musikprojekte. Neben unseren Begegnungsreisen nach Wolgograd organisieren wir jährlich Veranstaltungen in Köln zu den deutsch-russischen Beziehungen – gemeinsam mit VHS, Friedensforum, Lutherkirche, ver.di und Friedensbildungswerk. Am 27. Oktober ist wieder die Veranstaltung mit Frau Krone-Schmalz geplant, die wir wegen der Pandemie schon zweimal ausfallen lassen mussten.
In der momentanen Zeit ist es unglaublich wichtig, auf der Ebene die Kontakte zu halten. So kann man im Kleinen etwas bewegen… Der ehemalige Wolgograder Oberbürgermeister Jurij Starovatykh sagt immer:
Die Politiker machen oben ihre Politik, und Kölner und Wolgograder Bürger treffen sich auf Augenhöhe und betreiben Volksdiplomatie.
Matthias Platzeck nannte das „Goldstaub“.
Ich danke Ihnen.
Eva Aras ist Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Köln – Wolgograd.