Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für eine friedliche Welt,
79 Jahre nach dem Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen, nach über 60 Millionen Kriegstoten und 6 Millionen Menschen, die in Konzentrationslagern ermordert wurden – häufig im Dienst von Konzernen wie des damaligen IG Farben Kartells – sind wir erneut konfrontiert mit gewaltätigen Demonstrationen von rechten Kräften wie jüngst in Chemnitz. Darüber wird ausführlich in den Medien berichtet.
Wenig Erwähnung findet dagegen, dass seit Wochen in der ganzen Republik tausende auf die Straße gehen, um gegen die inhumame Abschottungspolitik der Großen Koalition zu demonstrieren, für Solidarität und sichere Fluchtrouten.
Kaum Erwähnung findet, dass über 70 000 Menschen die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterschrieben haben, und damit für zivile Konfliktlösung eintreten und sich gegen die geplante massive Aufrüstung der Verteidigungsausgaben im Rahmen der NATO Vorgaben einsetzen, wie sie aktuell in Deutschland stattfindet.
Und nicht zu überhören ist das Schweigen von Regierungsvertretern und bürgerlichen Medien zum diesjährigen Antikriegstag. Wie hier in Köln finden in etlichen Städten der Republik heute Demonstrationen gegen Krieg und Faschismus, für eine friedliche und menschenwürdige Welt statt.
Der Antikriegstag findet kaum Erwähnung, weil die Lehren aus der Geschichte im Widerspruch stehen zur Politik der Aufrüstung, zur neuen Stimmungsmache gegen Russland, zur Aushöhlung des Rechts auf Asyl, zur Politik der sozialen Stagnation unter dem Dogma „marktkonformer Demokratie“ und auch zur Versuch der Streichung der Friedensklausel aus dem Landeshochschulgesetz von NRW durch die schwarz-gelbe Landesregierung. In NRW ist seit 2014 aufgrund des Engagements von friedensbewegten Hochschulmitgliedern erkämpft, dass die Wissenschaft dem Frieden und der Demokratie verpflichtet ist, diesen Passus will die schwarz-gelbe Landesregierung streichen und damit Rüstungsforschung und Aufrüstung solanfähig machen.
Der Antikriegstag ist so brisant, weil wir heute schöpfen können aus den Erkenntnissen, die nach 1945 gezogen worden sind und auf ihre Verwirklichung drängen. Der Antifaschist Martin Löwenberg hat auf dem Ostermarsch 2005 in München auf die sogenannten vier „D’s“ hingewiesen, die nach 1945 ein Konsens unter den antifaschistischenn Kräfte waren. Sie waren eine Konsequenz aus zwei Weltkriegen, die von Deutschland ausgingen, die sich im Kern auch in den Potsdamer Verträgen der alliierten Siegermächte wiederfinden und heute noch brisanter geworden sind:
1. Demilitarisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens, d. h. Ausschaltung von Strukturen des „Befehl und Gehorsam“ z. B. in der Erziehung, der Arbeit, der Verwaltung und in den Köpfen.
2. Denazifizierung, also Zerschlagung des Nazismus mit seinen Wurzeln, d. h. Auflösung aller Naziorganisationen, Abschaltung des Einflusses aktiver Nazis aus allen gesellschaftlichen Bereichen.
3. Demonopolisierung, also Entflechtung der großer Unternehmen als eine Wurzel des Faschismus, die nachweislich eine große Mitschuld an der Errichtung und Stabilisierung faschistischer Herrschaft hatten, beinhaltet nicht nur die Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen, sondern auch die Sozialisierung der Schlüsselindustrien, der Banken.
4. Demokratisierung und zwar aller Bereiche der Gesellschaft, also nicht nur den Staat betreffend, sondern auch die Wirtschaft bzw, die Betriebe und eine umfassende Mitsprachemöglichkeit der Bevölkerung in allen wichtigen Fragen und Entscheidungen.
Zu diesen vier Hauptpunkten kam die daraus abgeleitete Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Denn soziale Ungerechtigkeit vor 1933, die hohe Arbeitslosigkeit, Not und Verelendung waren der Nährboden für die Anfälligkeit von Teilen der Bevölkerung für faschistische Ideologien gewesen.
Noch 1947 reichte die Einsicht, dass die Wirtschaftsordnung, die den Krieg und die Vernichtungslager möglich gemacht hatte, zu Gunsten einer Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche überwunden werden muss, bis in das Ahlener Programm der CDU.
Und in den internationalen Beziehungen sollte des Gewaltverbot zwischen den Staaten durchgesetzt werden, dafür wurden später die Vereinten Nationen gegründet.
Wir können heute aus der Geschichte lernen, dass es auf zivilgesellschaftliches Engagement, auf Solidarität und Aufklärung ankommt. Das lehrt der mutige Widerstand von Antifaschistinnen und Antifaschisten, die selbst in den Konzentrationslagern Widerstand geleistet haben und sich zusammengeschlossen haben für ein friedliches und antifaschistisches Deutschland. Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald haben bei Ankunft der Alliierten ihre Befreiung selbst in die Hand genommen, haben später trotz antikommunistischer Hetze und häufig trotz Verfolgung unter Adenauer und später mit durch die Berufsverbote Grundlagen gelegt für den politischen und kulturellen Aufbruch von 68.
Die Geschichte ist nicht vorbei. Wir können ihr uns heute neu bemächtigen, um eine menschenwürdige und für alle Menschen erfreuliche Zukunft zu gewinnen. Zusammen, für Frieden und soziale Gerechtigkeit, und gegen rechts.
Peter Gingold, jüdischer Antifaschist, Widerstandskämpfer und Kommunist schreibt in seinen Memoiren unter der Überschrift „Reisender in Sachen Mutmachen“:
„Es blieb nie, wie es war. Als ich auf die Welt kam, war ich Untertan von Kaiser Wilhelm, sicherlich waren damals noch die meisten Menschen fest davon überzeugt, das Kaiserreich werde vielleicht noch tausend Jahre fortbestehen. Als ich zu laufen begann, zwei Jahre später, war es hinweggefegt durch die Novemberrevolution. Die Weimarer Republik mit ihren Errungenschaften dauerte auch nur 14 Jahre. Als ich meine Lehre beendete, war sie untergegangen. Hitler proklamierte sein taseundjähriges Reich. Nach 12 Jahren war es zerschmettert. Ich gehörte zu denjenigen, die mit ihren Möglichkeiten ein klein bißchen dazu beigetragen haben. (…) Nein, es ist nicht das Ende der Geschichte! Seht, was sich alles in einem Leben ändert! (…) Es bleibt nichts wie es ist! Es lohnt sich, sich einzumischen, um die Welt zu verändern, sie so gerecht zu machen, wie wir sie haben wollen!“
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Redebeitrag des Kölner Friedensforums bei der Kundgebung am 01.09.2018