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80 Jahre Bücherverbrennung 1933

80 Jahre Bücherverbrennung 1933

“Buchenwald, Auschwitz- wie wenig wiegen dagegen die verbrannten Bücher!

Und doch: hier der Anfang, das Prinzip.” (Victor Klemperer)

 

Die Bücherverbrennung im Mai 1933 war nicht die unmittelbare Folge der sog. “Machtergreifung” der Nationalsozialisten, sondern das Ergebnis einer verfehlten Politik der 20er Jahre. Einerseits übernahmen demokratiewillige Parteien die Regierungsverantwortung, andererseits waren diese nicht in der Lage, auf die alten Seilschaften zu verzichten. Im Bildungssystem, in der Justiz und beim Militär- um nur einige Sparten zu nennen – schalteten und walteten die alten Cliquen wie zu Zeiten der Monarchie. Aber auch viele Bürger sehnten sich nach dieser zurück, da die Regeln der Demokratie zu neu waren, als undeutsch verleumdet wurden und somit als suspekt galten.

Da die Politiker nur eine sehr kurz greifende Realpolitik ohne Visionen zu bieten hatten, z. B. versäumten sie, den Menschen, besonders aber der Jugend demokratische Zukunftsperspektiven zu vermitteln, machte sich bei den breiten Massen eine starke Gleichgültigkeit am politischen Betrieb breit. Man befasste sich entweder mit dem täglichen Überleben, oder, wenn man das nötige Kleingeld dazu hatte, mit Unterhaltung und Vergnügungen. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der Zeit unterblieb. Extremistischen, meist national- konservativen Demagogen wurde die politische Bühne überlassen.

Schon 1919 formulierte Kurt Tucholsky  (Militaria Teil VI): “Wir Deutschen zerfallen in drei Klassen: die Untertanen: die haben bisher geherrscht ; die Geistigen: die haben sich beherrschen lassen; die Indifferenten: die haben gar nichts getan und sind an allem Elend schuld”. Er sah deutlich voraus, dass Wegsehen und Mitlaufen  zwangsläufig zu politischen Fehlentwicklungen führen. Konservative Politiker, Staatsanwälte und Militärs konnten nach 1918 unbehelligt ihren Kampf gegen die Republik führen und alles Progressive verteufeln und verbieten.

In den 20er Jahren wurden trotz der „Freiheit von Wort und Schrift“ fast nur kritische SchriftstellerInnen ( Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Erich Maria Remarque, Bertold Brecht, Lion Feuchtwanger, die Kölnerin Irmgard Keun etc.) bzw. Künstler (wie George Grosz, John Heartfield etc.) verurteilt und verboten. Die Nationalen konnten ohne Risiko produzieren, was sie wollten. Hilfreich dabei waren das “Republikschutzgesetz” (1922), das “Schmutz- und Schundgesetz” (1926), eine verschärfte Neuauflage des “Republikschutzgesetzes” (1930) und eine “Pressenotverordnung” (1931). Alle diese Gesetze machten es möglich, Bücher, Filme und Kunstwerke zu zensieren, zu verbieten und deren Verfasser  zu inhaftieren, und oft wegen Hoch- und Landesverrats zu verurteilen.

Berüchtigte Prozesse fanden statt u. A.:

– gegen George Grosz und Wieland Herzfelde (1921 wg. Beleidigung der Reichswehr („Gott mit  uns“,1923 der„Eccehomo- Prozess“, 1928 der „Gotteslästerungs- Prozess“)

–  Die Reichswehrführung stellt 1922 einen Strafantrag  gegen Tucholsky wegen des Gedichtes „Die Erdolchten“ (Ignaz Wrobel). Anfang 1923 muss der Autor nach verlorenem Prozess in der Weltbühne „widerrufen“.

– gegen Carl von Ossietzky und den Journalisten Walter Kreiser (1931 der „Weltbühne- Prozess“, wg. Landesverrat und Verrats militärischer Geheimnisse

– gegen Carl von Ossietzky, 1932 wg. Beleidigung der Reichswehr durch das Tucholsky- Zitat „Soldaten sind Mörder“ in der „Weltbühne“)

In das Parteiprogramm der am 24. Februar 1920 neu gebildeten NSDAP wurde bereits „der gesetzliche Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluss auf unser Volksleben ausübt..“ aufgenommen. Gemeint waren Bücher und Kunstwerke jüdischer, marxistischer und pazifistischer Schriftsteller. Bereits 1932 drohte der „Völkische Beobachter“ mit Bücherverboten.

Während der Weimarer Republik herrschte an den deutschen Universitäten ein weit verbreiteter reaktionärer, chauvinistischer und nationalistischer Geist, besonders unter den Schlagenden Verbindungen. Auch in diesen Kreisen wurde auf übelste Weise z.B. gegen progressive Literatur agitiert. Ab Sommer 1931 wurde die Deutsche Studentenschaft (DSt) von einem gewählten Vertreter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) geführt. Seitdem lag die Hochschulpolitik völlig in der Hand einer nationalsozialistischen Organisation. Die Folge war die Erstellung von sog. Schwarzen Listen, in denen alle unliebsamen Bücher aufgeführt waren, die dann im Mai 1933 vernichtet werden sollten. Am 26. März 1933 erschien eine erste „Liste verbrennungswürdiger Bücher“ in der „Berliner Nachtausgabe“.

Was geschah in Köln? Am 3. Mai 1933 beschließt der Senat der Universität eine Teilnahme an der Verbrennung in Anwesenheit des Rektors. Am 10.Mai wurde dann erklärt, dass eine Teilnahme des Lehrkörpers nicht stattfindet. Auch die Studentenschaft verschob  daraufhin die Veranstaltung „wegen des strömenden Regens“. Der wahre Grund war, dass einige Hochschullehrer die studentischen Aktionen „mildern“ wollten. Die Verbrennung fand dann nach interner Einigung am 17. Mai unter großer Beteiligung statt!

Im Jahr 1926 argwöhnte Kurt Tucholsky, dass Menschen nie aus der Geschichte gelernt haben und es auch in Zukunft nicht tun werden. Damit hatte er wie so oft recht. Man müsste meinen, dass die Menschen nach 1945 mit den Erfahrungen der Nazi- Diktatur dazu gelernt hätten. Leider war es nicht so:

–       1965 verbrannte  der „Bund entschiedener Christen“ in Düsseldorf öffentlich vor versammelter Presse Bücher, die aus Sicht dieses Bundes als „unmoralisch“ galten. Darunter waren Werke von Albert Camus, Erich Kästner und Günter Grass.

–       Im selben Jahr beschimpft Ludwig Erhard Günter Grass und Rolf Hochhut als „Pinscher und Banausen“.

–     Alfred Andersch wird 1976 in der FAZ wegen seines Gedichtes „Art.3 Abs.3“ (gegen Berufsverbote) heftig angegriffen. Die Sprache des Gedichtes wird in der FAZ mit der des Nazi- Hetzorgans „Der Stürmer“ verglichen.

–     1976 kommt es zum „Bonner Bildersturm“. Aufgebrachte Abgeordnete der CDU/CSU unter der Führung von Philipp Jenninger anlässlich einer Ausstellung in der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn Plakate von Klaus Staeck von der Wand reißt. Ein Teil der Ausstellungen (ca. 50)  wird verhindert, Jenninger wird später Bundestagspräsident. Er stolpert allerdings über seinen Redebeitrag im Bundestag anlässlich der November- Pogrome 1938, in dem er die Begeisterung der Deutschen für die Nazis als „Faszinosum“ verharmlost.

–       1978 bezeichnet Franz- Josef Strauß linke Intellektuelle und Schriftsteller wie Bernt Engelmann als „Ratten und Schmeißfliegen“. Edmund Stoiber bekräftigt später diesen Ausspruch.

–       In den 50er bis 70er Jahren war ein antikommunistisch geprägter „Volksbund für Frieden und Freiheit“ auch „antiliterarisch“ tätig. Im Vorstand befand sich der ehemalige Goebbels- Mitarbeiter Eberhard Taubert. Strauß hielt seine schützende Hand über ihn und diesen Bund, finanziert wurde er aus einem Bonner Geheimfonds.

Die FAZ skandalisierte anlässlich der Schmeißfliegen- Affäre die Tatsache, dass Menschen als „Ungeziefer“ verunglimpft werden. Sogar der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) gab zu bedenken, dass die realistische Gefahr bestünde, dass jemand durchdrehe und solches „Ungeziefer“ wirklich vernichten wolle. Kritische Schriftsteller (siehe oben) werden auch heute immer wieder wegen ihrer abweichenden politischen Meinung angegriffen und persönlich niedergemacht.  Ordnungskräfte und Justiz verbieten oder beschränken linke Demonstrationen gegen Rechtsextremisten mit scheindemokratischen oder sicherheitspolitischen Bedenken. Der NSU- Skandal  zeigt, dass Politiker gerne Fakten vertuschen und die (rechten?) V- Männer des Verfassungsschutzes eher schützen als die Rechte und das Leben der Bürger.

Wie in den 20er Jahren führt auch heute politische Flickschusterei ohne Zukunftsperspektive (z.B. Arbeitsmarkt und Bildung) zu Politikverdrossenheit, Kulturfeindlichkeit und Hinwendung zu rechtsradikalen Gruppierungen.

Mit der Erinnerung an eine historische Begebenheit und deren verheerende Folgen kann vielleicht ein Beitrag geleistet werden, Menschen davon zu überzeugen, dass eine lebendige Demokratie für unser Land wichtig ist und mehr bringt als Passivität und Desinteresse.

Denn: Demokratie ist nicht Sache einzelner Politiker sondern die vieler informierter und engagierter Bürger.

Rolf- Rüdiger Noack

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