Mein Name ist Heinz Voigt. Ich bin Allgemeinarzt in Solingen und seit über 30 Jahren Mitglied in der IPPNW, dieser internationalen ärztlichen Friedensorganisation mit dem komischen Namen, den sich kaum einer merken kann.
Beginnen möchte ich mit einem Zitat von Albert Einstein, das leider heute noch so aktuell ist wie damals, 1958. Sie kennen es vermutlich: „Die entfesselte Macht des Atoms hat alles verändert. nur nicht unsere Denkweise. So gehen wir einer Katastrophe ohnegleichen entgegen. Wir brauchen eine wesentlich neue Denkungsart, wenn die Menschheit am Leben bleiben will.“
Es sind 70 Jahre seit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki vergangen, und trotz all der verheerenden Folgen haben die Politiker und Völker darin versagt, die Konsequenzen zu ziehen, nämlich die Ächtung und vollständige Abschaffung der Atomwaffen. Dabei hat es in diesem 70 Jahren zahlreiche nationale und internationale Bürgerbewegungen bzw. Bürgerinitiativen zur Abschaffung der Atomwaffen gegeben. Ich will einige davon hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufzählen:
Da ist zunächst der Stockholmer Appell aus dem Jahr 1950 zu erwähnen, dessen Erstunterzeichner und Mitinitiator ein französischer Kernphysiker und Nobelpreisträger war, der sich Ende der vierziger Jahre geweigert hatte an der Entwicklung einer französischen Atombombe teilzunehmen. Prominente Mitunterzeichner waren u.a. Pablo Picasso, Marc Chagall, Thomas Mann, Pablo Neruda, Louis Aragon und Ives Montand. Das Problem dieser Inititiave und der Grund für ihr Scheitern war ihre vermeintliche oder tatsächliche Nähe zu einer der Konfliktparteien, in diesem Fall zur Sowjetunion. Als Friedensbewegung müssen wir damit rechnen als 5. Kolonne der jeweils anderen Seite verdächtigt zu werden. ( Ich erinnere an den Krefelder Appell in den 80er Jahren. ) Es liegt auch an uns, diesem Vorwurf durch Objektivität und durch konsequente Orientierung an den Interessen der Zivilgesellschaft zu begegnen.
Eine andere Initiative aus den 50er Jahren, die bis heute in Form der Pugwash Konferenzen fortwirkt war das Russel – Einstein – Manifest aus dem Jahr 1955. Unter dem Eindruck der Auswirkungen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sowie der oberirdischen Atomtests im Südpazifik forderten die Unterzeichner die vollständige Abschaffung von Atomwaffen und die Überwindung des Krieges als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Staaten überhaupt.
In der Bundesrepublik Deutschland war nach der in der Bevölkerung umstrittenen Wiederbewaffnung der Bundeswehr und deren Eingliederung in die NATO der Plan der damals Verantwortlichen ( Adenauer, Strauß ) die neue Armee mit sog. taktischen Atomwaffen auszustatten auf einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gestoßen. Die Göttinger Erklärung der 18 Atomwissenschaftler im Jahr 1957 und die daran anknüpfende außerparlamentarische Bewegung „Kampf dem Atomtod“ der Jahre 1957 und 1958 aber auch das tief sitzende Mißtrauen der ehemaligen Kriegsgegner gegen den neuen Verbündeten im NATO Bündnis durchkreuzten damals die Pläne der Regierenden. (Erst viel später erhielten deutsche Militärs durch das Konzept der „nuklearen Teilhabe“ doch noch den „Finger am Abzug.“)
In den 60er Jahren entwickelte sich in der damaligen Bundesrepublik die Ostermarschbewegung, die bis heute den Bürgerprotest gegen Kriege im Allgemeinen und gegen atomare Rüstung im Besonderen bündelt.
In den 80er Jahren formierte sich unter den Bedrohungsszenarien der Neutronenbombe und der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa eine neue Friedensbewegung, die damals viele Menschen mobilisierte.
Erwähnung verdient an dieser Stelle auch die Initiative der Bürgermeister für den Frieden ( Mayors for peace ) die von den beiden Bürgermeistern der Städte Hiroshima und Nagasaki 1982 ins Leben gerufen wurde. Ziel dieses Bündnisses ist es, den nuklearen Abrüstungsbestimmungen des Atomwaffensperrvertrags endlich Geltung zu verschaffen. Weltweit nehmen mehr als 6000 Städte daran teil, darunter 400 aus Deutschland, auch Köln ist dabei.
Ein Meilenstein in der Geschichte der nuklearen Abrüstung ist das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in den Haag – des höchsten Rechtsorgans der Welt also – vom 8.7.1996. Darin erklärt das Gericht: „Die Androhung mit und der Einsatz von Atomwaffen sind generell völkerrechtswidrig.“ Dieses Gutachten war auf Initiative der IPPNW, der IALANA und des internationalen Friedensbüros zustande gekommen und wurde gegen Ende des Anhörungsverfahrens von ca. 600 internationalen Abrüstungsinitiativen mitgetragen. So haben wir das Recht, das Völkerrecht schon lange auf unserer Seite, aber es gibt keine Macht, die es dem Internationalen Gerichtshof erlaubt, dieses Recht auch durchzusetzen. Das verweigern bisher alle Atomwaffenstaaten.
Dies zeigte sich zuletzt überdeutlich auf der 9. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags, die Ende Mai dieses Jahres in New York wieder einmal ohne verbindliche Zusage der fünf offiziellen Atomwaffenstaaten über die nächsten nuklearen Abrüstungsschritte zu Ende ging. Hierzu sind sie nach Artikel VI des Vertrages verpflichtet. Doch statt abzurüsten investieren alle Atomwaffenstaaten Milliarden in die Modernisierung und Aufstockung ihrer Arsenale und verhöhnen des eben zitierte Völkerrecht indem sie mehr oder weniger unverhohlen mit dem Einsatz ihres nuklearen Potentials in der Ukraine Krise drohen. Eine Gruppe von 159 Staaten hatte auf der Konferenz in New York versucht, eine Reihe von Argumenten für weitere Abrüstungsschritte unter Hinweis auf die humanitären Folgen des Atomwaffeneinsatzes in ein Abschlussdokument der Konferenz aufzunehmen. Dies wurde von den Atomwaffenstaaten ebenso ignoriert wie die seit 1974 wiederholt von den arabischen Staaten vorgetragene Forderung nach einer Konferenz zur Errichtung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten. Obwohl nach dem Atomabkommen mit dem Iran ein Hindernis auf dem Weg dorthin ausgeräumt wurde, verweigerten die USA und Großbritannien mit ihrem Veto ihre Zustimmung, um das Interesse der Nichtvertragspartei Israel zu schützen.
Zum Abschluss meines Beitrags zu dieser Veranstaltung möchte auf eine Entwicklung hinweisen, die am Ende ein wenig Anlass zur Hoffnung gibt: Eine neue globale Bürgerinitiative mit dem Namen ICAN (internationale campagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen ), die 2007 ins Leben gerufen wurde, hat sich zum Ziel gesetzt, die Zivilgesellschaft und die Regierungen weltweit für das konkrete Ziel eines globalen Verrages zur Abschaffung von Atomwaffen zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Dafür arbeitet sie in einer Koalition mit einem breiten Spektrum an humanitären, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen zusammen. Derzeit sind über 360 Partnerorganisationen in 93 Ländern der Welt für die Kampagne aktiv. Mit der Kampagne soll die Debatte über Atomwaffen neu ausgerichtet werden: Und zwar sollen die katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen auf die Gesundheit, Gesellschaft und Umwelt im Zentrum der Diskussion über nukleare Abrüstung stehen statt, wie bisher die sicherheitspolitischen Aspekte. Als Konsequenz fordert ICAN die Regierungen auf, über einen Verbotsvertrag zu verhandeln – auch ohne die Atomwaffenstaaten. Die Kampagne sieht sich als Vertreterin der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung und Regierungen, die eine Welt ohne Atomwaffen erstrebt.
Das Denken von ICAN hat auch Verbreitung gefunden unter jenen Staaten, die auf der Überprüfungskonferenz im Mai in New York weitere Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung gefordert haben. Auf einer Regierungskonferenz in Wien im Dezember 2014 hat die österreichische Regierung die beteiligten Staaten aufgefordert ein sog. humanitäres Versprechen ( humanitarian pledge ) abzulegen. Es lautet: „Das Risiko von Atomwaffen mit ihren unannehmbaren Folgen kann nur vermieden werden, wenn alle Atomwaffen abgeschafft sind. Wir versprechen zusammen zu arbeiten, um Atomwaffen zu stigmatisieren, zu verbieten und anzuschaffen.“ Bis heute haben sich 108 Staaten der Erde diesem Versprechen angeschlossen. Ziel ist die völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen ( das heißt Herstellung, Besitz und Anwendung ) wie es bereits für chemische und biologische Massenvernichtungswaffen gilt. Sorgen wir dafür, dass auch unsere Regierung sich dieser Initiative anschließt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit