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Unerledigtes Thema

Der Film "Keine Kameraden" im Filmforum Ludwig. Diskussion mit der Filmautorin Beate Lehr

Der  Feldzug der Nazi-Wehrmacht gegen die Sowjetunion begann mit klaren Zielsetzungen. Schon vor dem 22.Juni 1941 hatte Hitler seine Befehlshaber darauf eingeschworen, dass Zivilisten wie Soldaten des zu erobernden Landes ohne alle Rücksicht – weder auf das Völkerrecht noch auf das Kriegsvölkerrecht – zu behandeln seien. Der Titel des Films von Beate Lehr nimmt Bezug auf einen dieser Befehle, in dem es über die zu erwartenden Kriegsgefangenen heißt: „…der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad…“ Nach dieser Vorgabe haben Wehrmacht, SS und Polizei ganze Arbeit geleistet. Schon im ersten Kriegsjahr starben zwei Drittel der sowjetischen Kriegsgefangenen, in Zahlen: von 3.5 Millionen über 2 Millionen. Bis 1945 wurden von 5,7 Millionen gefangener Soldaten 3,3 Mio. Leben vernichtet. Sie waren die zweitgrößte Opfergruppe der nazistischen Gewaltherrschaft.

EINZELSCHICKSALE UND HISTORISCHE AUFKLÄRUNG

Der Film „Keine Kameraden“ dokumentiert Ausmaß und Tiefe dieses Verbrechens anhand von alten Wochenschauen, Dokumenten – unter anderem wurden die Karteikarten aufgefunden, die die Wehrmacht über jeden Gefangenen und sein Schicksal geführt hat – , durch Interviews mit zum Thema kompetenten Historikern und Zeitzeugen auf deutscher wie auf russischer Seite. Viele Einzelheiten des schrecklichen Lebens und Sterbens der Soldaten kommen zur Sprache und werden anschaulich: der Hunger, das Kampieren auf freiem Feld, in Erdlöchern, die Vernichtung durch Arbeit oder durch die Selektionen, bei denen nach politischen Multiplikatoren und potentiellen Aufrührern gefahndet wurde.

Zwei Einzelschicksale werden näher betrachtet: Nikolaj Kurilov starb in einem Kriegsgefangenenlager auf Langeoog, wo die sowjetischen Gefangenen in einer eigenen Abteilung unter menschunwürdigen Bedingungen gehalten wurden und bis zur völligen Erschöpfung an der Küstenbefestigung arbeiteten. Beate Lehr hat Angehörige gefunden, die von seiner Kindheit und Jugend erzählen. Das andere Schicksal ist das eines Überlebenden: er kehrt in sein Dorf zurück, hat eine große Familie, wird aber das Trauma der Gefangenschaft niemals los. Sichtbares Zeichen ist der Garten voller Apfelbäume, die er gepflanzt hat, damit seine Familie, seine Kinder und Enkel niemals hungern müssen. Der Großvater starb vor Jahren, aber die Geschichte des Obstgartens ist in der Familie weiterhin lebendig.

Die formalen Qualitäten des Films sind vor allem in der abgewogenen Mischung von allgemeinen Aussagen  und Zusammenhängen und den schockierenden Details, mithin von historischer Aufklärung und menschlichem Schicksal zu sehen.

IN DER ÖFFENTLICHKEIT KEIN THEMA

Knapp sieben Jahrzehnte nach Kriegsende wirft der Film beim deutschen Publikum vor allem eine Frage auf – wie kann es sein, dass dieser Aspekt des Zweiten Weltkriegs trotz aller Erinnerungsarbeit und Versuche der Vergangenheitsbewältigung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nie ein Thema war? Sehr im Unterschied übrigens zum Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, mit deren Leiden viele Tonnen Papier in Trivialliteratur und Illustriertenserien gefüllt wurden, wovon zahlreiche Filme lebten und von denen Wahlkämpfe vor allem der rechten Parteien profitierten.

Symptomatisch scheint, wie Beate Lehr selbst zu diesem Thema kam: langjährige Urlauberin auf Langeoog, wurde sie eines Tages auf die Spur des früheren Kriegsgefangenenlagers aufmerksam und fand, das sei mal ein gutes lokales Thema, begann zu recherchieren und gewann erst dann einen Begriff von der Dimension des Themas – unter anderem, weil es durchaus ordentliche historische Forschung seit Ende der 70er Jahre dazu gibt und weil die älteren Einwohner Langeoogs sich durchaus an das „Russenlager“ erinnerten.

Im Gespräch mit den knapp 80 Zuschauern wurde diese Frage weiter vertieft und sehr bedauert, dass dieser Film, den die DiskutantInnen einhellig sehr gut fanden, keine größere Verbreitung – z.B. durchs  deutsche Fernsehen – gefunden hat. Die Produktion des Films war durch Reisekosten und Gebühren für die Zeitdokumente sehr teuer und wäre ohne die Förderung durch den Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“ nicht zustande gekommen. (Auch die Kölner Veranstaltung wäre – obwohl von einem Bündnis von sechs interessierten örtlichen Organisationen und dem Kölner NS-Dok getragen und trotz des guten Besuchs – ohne die Spende dieses Vereins schwer zu finanzieren gewesen.)

DAS DESINTERESSE DER POLITIK

Eine Million der sowjetischen Kriegsgefangenen kehrte ins Heimatland zurück; sie standen sofort unter dem Generalverdacht der Kollaboration mit den Besatzern. Ein Drittel wurde umstandslos in die Straflager geschickt, der Rest hatte berufliche Nachteile und bekam auf die eine oder andere Weise das Misstrauen von Politik und Gesellschaft zu spüren. Die Art, wie der Film diese Frage behandelt – vergleichsweise kurz – , war im Publikum umstritten. Beate Lehr erklärte ihre Position so: Selbstverständlich gehörten diese Fakten in den Film, aber das sei nicht ihr Thema, sowohl im engeren Sinne dieser Filmarbeit wie auch im weiteren, da dies eigentlich in der heutigen russischen Gesellschaft aufgearbeitet werden müsse. Hoffnungsvoll sei immerhin, dass ihr Film in voller Länge im gesamtrussischen Fernsehsender Kultura gelaufen sei. So standen sich am Ende zwei Positionen gegenüber: die einen wünschten sich, dass der Film das innersowjetische Nachkriegsschicksal der heimgekehrten Kriegsgefangenen breiter dargestellt hätte, die anderen gaben zu bedenken, dass Aufrechnen nichts bringe und ein „einerseits-andererseits“ angesichts der faschistischen Verbrechen ganz leicht eine entlastende Funktion gewinne.

Die Politik steht dem Desinteresse der deutschen Öffentlichkeit in nichts nach: bisher wurde jede Debatte um Entschädigung oder auch nur eine politische Geste gegenüber den Opfern abgebogen, ein zweimaliger Antrag im Bundestag, der in diese Richtung ging, ohne Plenardiskussion abgelehnt. Umso verdienstvoller sind die gesellschaftlichen Initiativen, die sich mit der Frage überhaupt befassen. Im Publikumsgespräch nach dem Film berichtete eine Dame aus der Initiative um das ehemalige Kriegsgefangenlager Stukenbrock bei Bielefeld, wie dort in einer jährlichen Gedenkveranstaltung und in kontinuierlicher Arbeit die Erinnerung an diesen Ort des Verbrechens und die dort umgekommenen Menschen wach gehalten wird.

Wie wirksam die deutsche Abwehrhaltung gegenüber dem Thema noch ist, zeigt deutlich die Ablehnung eines Antrags von SPD/Grünen in der letzten „Mammut“-Sitzung des Bundestags. Beantragt waren  „symbolische Entschädigungszahlungen“ an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene von 2500 €. Das beträfe heute 2000 bis 4000 noch Lebende. Die Regierungsfraktionen reichten ihr Nein schriftlich ein und führten als Grund „Menschenrechtsverletzungen“ an, „die die Kriegsgegner sich gegenseitig zugefügt haben.“

Im Jahr 2006 hatte die PDS-Fraktion einen ähnlichen Antrag eingereicht. Er wurde vom damaligen Finanzminister Steinbrück mit der Begründung abgelehnt, dass „unrechtmäßig zugefügte Leiden auch deutschen Kriegsgefangenen widerfahren sind.“

 

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