Buchbesprechung: Gehrke/Reymann: Syrien

Buchbesprechung
Wolfgang Gehrcke/Christiane Reymann
Syrien – Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert
PapyRossa Verlag (9,90 €)

Syrien – war da was? Die Informationen über Syrien in den Medien sind spärlich geworden. Zunehmend macht sich die Meinung breit: Die Lage ist unübersichtlich, zu viele Akteure sind beteiligt. Wer kann sich da noch ein einigermaßen objektives Bild machen, geschweige einen Standpunkt einnehmen?
Das Buch von Gehrcke und Reymann ist  für diejenigen, die sich nicht mit oberflächlichen Einschätzungen zufrieden geben wollen, sehr hilfreich. Hier kommen zahlreiche und kundige Autoren zu Wort. Sie vermitteln uns ein sehr differenziertes Bild der Hintergründe dieses Krieges und liefern uns zahlreiche Fakten. Es geht um „Aufklärung, Austausch von Wissen, Analysen, Erfahrungen und Diskussion.“ Und das Besondere: „Hier schreiben Autorinnen und Autoren, die Gewalt als Mittel zur Lösung des Syrien-Konfliktes ablehnen.“ So wird in diesem Buch „ein Gegenentwurf skizziert zur Strategie der „Freunde Syriens“, der NATO, der Bundesregierung, die einen Regime-Change ansteuern und prinzipiell eine ausländische Militärinvention nicht ausschließen.“
Der erste Teil des Buches konzentriert sich auf „Fakten und Hintergründe“. Harri Grünberg  beschreibt gleich zu Beginn des Buches den Aufstieg und Fall des säkularen arabischen Nationalismus und die Entwicklung der Baath-Partei, die unter Baschar al-Assad den Sprung vom Arabischen Sozialismus zur neoliberalen Öffnung der Märkte, und damit zur Spaltung der Gesellschaft macht.
Die Journalistin Karin Leukefeld,  nimmt diesen Faden auf und beleuchtet „sozialökonomisch und politisch“ die Vorgeschichte des Aufstandes in Syrien. Sie beschreibt die „eigentlichen Forderungen der Protestbewegung“ („Freiheit und Würde“) und als Folge der wirtschaftlichen Liberalisierung die Kluft zwischen Arm und Reich.
Machmouh Habaschi und Dr. Arne C. Seifert schildern in ihren Artikeln die Ausbreitung des Islamischen Fundamentalimus. Dieser setzt sich – in Gestalt der Muslimbruderschaft – von den aufgeschlossenen modernen ägyptischen Gelehrten ab und distanziert sich nicht nur von deren laizistischem Gedankengut, sondern auch von allen neuzeitlichen Theorien wie dem Nationalismus, dem Liberalismus und dem Sozialismus. Und dabei gerät diese Bewegung in die Fänge der Antiterrorstrategen, die – „als Gegenkraft zum kommunistischen Modell“ – plötzlich an der Ausweitung des Einflusses islamischer Organisationen interessiert sind.
Der Völkerrechtler und ehemalige Bundestagsabgeordneter der Linken, Norman Paech, geht dieser Einmischung von Außen näher auf den Grund: „Vor allem die USA, Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben … mit Waffenlieferungen und der Einschleusung von Söldnern verschiedener Herkunft sich eindeutig auf die Seite der Aufständischen geschlagen und damit die weitere Eskalation und Internationalisierung des Konfliktes betrieben.“
Dabei spielt die Türkei als „neuer globaler Akteur“ eine zunehmend bedeutende Rolle, wie Erhard Crome in seinem Artikel über den Aufstieg der AKP und mit ihr Tayyip Erdogans aufzeigt. Auch Israel agiert in diesem Konflikt. Seit dem Oktoberkrieg 1973 hält es die Golanhöhen besetzt und „zieht“ nach Karin Kulow „den Golan einem Frieden mit seinem ärgsten und gefährlichsten Feind vor.“ Assad liegt eigentlich nicht so falsch, wenn er „von der Notwendigkeit einer Gesamtlösung der nahöstlichen Konfliktlagen“ spricht.
Die deutsche Bundesregierung hat sich, so Johanna Bussemer, in der Syrienpolitik  in die zweite Reihe gedrängt. Nach einer Zeit des Abwartens ist sie diejenige in der EU, die schon früh Sanktionen gegen das Assad – Regime gefordert hat und „vielleicht schon früher als andere EU-Staaten eine Verhandlungslösung für den Syrienkonflikt ausschloss“.
Den ersten Teildes Buches schließen Wolgang Gehrcke, MdB, und Christiane Reymann, Journalistin, Soziologin und Politologin, mit einem Artikel über „Linke und der Syrien-Konflikt“ ab. Die Autoren beziehen hier kenntnisreich und ungeschminkt Position. Ihr Ausgangspunkt: „Das Drehkreuz, das Syrien in seiner Geschichte so attraktiv gemacht hat, ist heute sein Schicksal: In und mit dem Bürgerkrieg wird Weltpolitik gemacht.“ Da Syrien als „Schurkenstaat“ gilt, muss er beseitigt werden. Und dafür verbindet sich der Westen mit anderen Schurken. Die Autoren lösen das Schwarz-Weiß-Bild auf, das unsere Medien so gerne von Syrien zeigen. Dazu gehört, dass der Staat des Baschar al-Assad gegenüber den anderen arabischen Staaten eine durchaus säkulare und liberale Seite hat. Andererseits sprechen die Autoren von der „enteigneten Revolution“. Sie zitieren die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik und sprechen von einem „Stellvertreterkrieg“, „in dem internationale, regionale und subnationale Konflikte ausgetragen werden“. Nach Meinung der Autoren geht es bei diesem Konflikt darum, „Russland im Süden an seiner empfindlichsten Flanke  einzukreisen und in den Fernen Osten nach China vorzustoßen. Das ist ein globales Projekt. Die arabischen Staaten liegen auf dem Weg dorthin.“ Der Artikel endet mit einer Aufforderung an die Friedensbewegung, sich für das Völkerrecht und gegen eine „zunehmend bellizistisch dominierte, auf „humanitäre Intervention“ drängende mediale Öffentlichkeit“ zu entscheiden.
Im zweiten Teil des Buches kommen die „Stimmen aus der demokratischen Opposition“ zu Wort. Angehängt ist noch ein „Who is Who in der syrischen Politik“, in dem „Parteien und Gruppen der Opposition, der Linken, der Regierung“ recht ausführlich beschrieben werden.
Während Issam Haddad  den Aufstieg und die Spaltung der kommunistischen Partei in Syrien beschreibt, zeichnet Michel Kilo vom Syrischen Demokratischen Forum „die Unfähigkeit des syrischen Regimes nach, die Realität zu erfassen, wie sie ist“ und die fatale Entscheidung „für die Unterdrückung der Volksrevolution mit Waffengewalt“.
Sehr aufschlussreich ist das Interview, das Karin Leukefeld mit dem Auslandssprecher des oppositionellen Nationalen Koordinationsrates für demokratischen Wandel in Syrien (NCB), Haytham Manna, führt. Darin wird deutlich, dass es die demokratische Opposition, die die Gewalt als Weg zur Lösung der Syrien-Krise ablehnt, wirklich gibt. Aber der Westen einschließlich der USA und der Türkei will keinen unabhängigen Partner. Er hat sich deshalb einen eigenen Rat aufgebaut, den Syrischen Nationalrat, der offensichtlich tut, was ihm befohlen wird. Der NCB wird seitdem in Verhandlungen konsequent ignoriert, auch in der hiesigen Presse wird er nur selten erwähnt.
Louay Hussein, der Vorsitzende der Allianz zur Bildung des syrischen Staates macht in seinem Aufsatz deutlich, dass die „Reformen“ der Regierung viel zu spät kamen und nur formaler Natur sind. Die Menschenrechte werden in Syrien weiterhin ungehindert verletzt, sowohl von Seiten der Regierung als auch der zahlreichen bewaffneten Gruppen, die von Akteuren außerhalb Syriens mit Geld und Waffen versorgt werden. Die Allianz zur Bildung des syrischen Staates bekennt sich eindeutig zur Gewaltlosigkeit. Diese Haltung wird durch die Gründung des Forum Frauen und Demokratie  innerhalb der Allianz bestärkt. Moena Ghanem schildert im letzten Beitrag des Buches das mutige und gewaltlose Engagement dieser Frauen für ein demokratisches Syrien. Ohne Frauen gibt es keine Demokratie – das zeigen die Erfahrungen  der Frauen in Liberia und Irland – und wirkliche Demokratie kann nur mit Gewaltlosigkeit erreicht werden.
Michael Kellner