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Redebeitrag zur Anti-Kriegsdemonstration anlässlich des Ukrainekrieges, Köln, Chlodwigplatz, am Samstag, den 5. März 2022

Von Matthias Engelke vom Versöhnungsbund

 

Köln-Merkenich,

Montag, den 7. März 2022

Redebeitrag zur Anti-Kriegsdemonstration anlässlich des Ukrainekrieges, Köln, Chlodwigplatz, am Samstag, den 5. März 2022

Hier findet ihr die Rede als pdf zum Ausdrucken

Was wir gegenwärtig  erleben ist in meinen Augen der Fluch der bösen Tat. 

Nach der Wiedervereinigung fing es ermutigend an. Die Paris-Charta von 1990 eröffnete für Europa das Zusammenleben in einem „gemeinsamen Haus“ (Gorbatschow) als System der gegenseitigen kollektiven Sicherheit. Aus der KSZE wurde die OSZE. 

Aber in den folgenden Jahren wurde die Bedeutung der Vereinten Nationen und der OSZE systematisch fortlaufend geschwächt. 

Ein Sargnagel war der Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994, dass die NATO solch ein Bündnis der kollektiven gegenseitigen Sicherheit sei, wie es das Grundgesetz Art. 24,2 vorschreibt, obwohl es die NATO nicht ist, denn Russland wird davon ausgeschlossen.

1954 hat es einen Antrag der Sowjetunion gegeben, Mitglied der NATO zu werden.

https://www.pressenza.com/de/2019/04/heute-vor-65-jahren-sowjetunion-wollte-der-nato-beitreten/

Infolge der Pariser Charta wurden partnerschaftliche Beziehungen zu Moskau aufgebaut. Doch das wurde von militaristischen Kreisen in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Europa hintertrieben. Bereits 1999 traten Polen, Ungarn und Tschechien der NATO bei. 

Im gleichen Jahr eröffnete die NATO den völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Kosovo-Krieg – unter einer Rot-Grün-Regierung – die jetzt zusammen mit den Gelben auch wieder an der Regierung sind. 

Die NATO wusste, wie sie den Krieg beginnt, aber nicht, wie sie ihn beenden kann. Sie hatte keine Exit-Strategie. In einer Zentralen Dienstvorschrift für die Soldaten der Bundeswehr steht, dass sie nur mit einer Exit-Strategie in einen Krieg gehen dürfen. Auch damals hätten die deutschen Soldaten ein doppeltes Recht gehabt – mangelnde völkerrechtliche Legitimation und fehlende Exit-Strategie – die Beteiligung an diesem Krieg zu verweigern. Die NATO benötigte die Hilfe Russlands, den Krieg beenden zu können. Völlig überraschend für die NATO Befehlshaber landeten russische Truppen in Pristina. Der englische General vor Ort, Mike Jackson, erhielt den Befehl, die Russen vom Flughafen in Pristina heraus zu schmeißen. Er verweigerte den Befehl, das sei es nicht wert, den Dritten Weltkrieg zu beginnen. Bis heute ist Mike Jackson für diese situative Kriegsverweigerung noch nicht öffentlich geehrt worden. Der Preis, den der Westen dafür de facto Putin zahlte, war hoch: Er erhielt freie Hand in Tschetschenien. Dort demonstrierte er, wie er aufständische Bewegungen niederschlägt: Er zerstörte die gesamte Stadt, Grosny wurde ein Trümmerfeld. Mit der gleichen Methode unterstützte Putin Assad im Syrienkrieg und zerstörte Aleppo. Wird die nächste Stadt Kiew sein? 

Jetzt hat Putin nachgemacht, was vom Westen vorgemacht wurde und die Autokraten wie Erdogan und Diktatoren der Welt wird es erfreuen. 

Die NATO trat mit dem Anspruch auf, an Stelle der Vereinten Nationen und der OSZE, eine Friedenskraft zu sein. Dabei haben sie nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan und Irak ein Desaster hinterlassen. Und diesem Master of desaster und ihren Methoden und Waffen soll ausgerechnet die Lösung des Ukrainekrieges anvertraut werden? Der Ukrainekrieg ist eine willkommene Ablenkung, wer spricht noch über Afghanistan? 

Warum wurde die NATO nach Osteuropa erweitert? Bei den 2+4-Verhandlungen gab es am 8./9. und 10. Februar 1990 von Vertretern Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, den Vereinigten Staaten von Amerika und dem NATO-Generalsekretär Wörner gegenüber Gorbatschow und Schewardnaze das Versprechen, die NATO nicht gen Osten zu erweitern. 2008 eröffnete der US-Präsident Bush, Junior, völlig überraschend auch für die Ukrainer, dass die Ukraine der NATO beitreten könne. 

Warum wurde und wird diese Politik betrieben? Ich erkenne darin eine tiefe Kränkung der Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr die einzige Weltmacht zu sein, wie es nach der demonstrativen Explosion der beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki 1945 der Falls war. Das war am 29. August 1949 vorbei. An diesem Tag explodierte die erste Atombombe der Sowjetunion auf dem Testgelände Semipalatinsk in Kasachstan. Es entstand der Kalte Krieg, der an den Antislawismus anknüpfen konnte, nun unter dem Schlagwort „Antikommunismus“; ein Antislawismus, der den unermesslichen Völkermord Deutscher und  Verbündeter an den Menschen der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges in Vergessenheit brachte, ein Völkermord, zu dem sich Deutschland bis heute nicht uneingeschränkt bekannt hat. 

Nun genießt Putin seinerseits endlich die ihm lang vorenthaltene weltweite Anerkennung, wenn auch für Viele als Schurke. 

Dabei ist er endlich in die Falle getappt ein mehrheitlich westlich geprägtes Land anzugreifen; mich würde es nicht wundern, wenn dies der Anfang von Putins Ende ist. 

Die Solidarisierung mit Ukraine hat Europa zuletzt gegen die Türken erlebt und dass europaweit am vergangenen Donnerstag, den 3. März um 12 Uhr alle Domglocken läuteten ist gespenstisch. Wurde doch dieses Mittagsläuten in Europa eingeführt, um gegen die Türken zu mobilisieren. 

Jetzt werden Söldner in den Ukrainekrieg gerufen. Soll es wieder Freizeitmörder geben, wie während der Belagerung Sarajewos, die zum Wochenende auf die Höhen über der Stadt fuhren und auf dem Marktplatz  die Menschen wie Kaninchen abknallten? Wurden sie strafrechtlich belangt? Soll es wieder Mörder unter uns geben? 

Eine Zukunft der Ukraine und Europas wird es nicht ohne Russlands geben. Nötig ist ein neuer OSZE-Anlauf, ein HELSINKI II. Es muss etwas Neues erfunden werden, ein entmilitarisiertes demokratisches Europa. Europa darf nicht in die Falle der Militaristen tapsen, als hätten wir es mit einem „Kalten Krieg II“ zu tun. Es geht um Menschen. 

Warum ist Russland in Ukraine einmarschiert? Ich versuche mir darauf folgenden Reim zu machen: Außer  den genannten Gründen (Reaktion auf die NATO-Osterweiterung) spielt eine Rolle, dass in Russland die Unterstützung für Putin schwand. Ein Krieg kann das ändern. 

Ein weiteres Motiv ist „The economy. Stupid“, ein Wort von James Carville, einem der engsten Berater von Präsident Clinton. Putins Herrschaft beruht zu weiten Teilen darauf, dass er sichere Renten, sichere Pensionen und sichere Löhne garantierte – anders als unter seinem Vorgänger Jelzin -, vor allem für das unermessliche Heer der Beamten und Angehörigen der Armee und Geheimdienste, denn fast jedes Ministerium in Russland hat seinen eigenen Geheimdienst. 

Wirtschaftliche Basis dafür ist weitestgehend einseitig, der Verkauf von Gas, Öl und Kohle. Die Konkurrenz junger, einfallsreicher Unternehmer, die die wirtschaftliche Basis erweitert hätten. aber auch mehr Demokratie einforderten, wurde einer nach dem anderen weggeätzt oder eingesperrt. Angesichts der schwindenden Unterstützung ist es für Putin überlebenswichtig, dass die Renten, Gehälter und Pensionen gesichert sind, das Einkommen langfristig gesichert ist. Wenn ein Krieg geführt wird, explodieren die Gaspreise. Der Krieg finanziert den Krieg. Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und russischer Kohle, weil wir nicht schnell genug auf alternative Energien umgeschwenkt sind, sondern wertvolle Jahre z. B. mit dem Wiederaufleben der Atomkraftlobby verschleuderten bis die Fukushima-Dreifach-Katastrophe das Umdenken einleitete, führt dazu, dass wir in Deutschland den Krieg mitfinanzieren. 

Dabei sind wirtschaftliche Beziehungen mit Russland wichtig und sinnvoll, wenn sie eingebettet sind in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. 

Das bürgerschaftliche Engagement hat seinen Eigenwert, dazu gehören auch die Städtepartnerschaften. Wir müssen miteinander reden. Wir fordern von Frau Reker die Städtepartnerschaft mit Wolgograd nicht einzufrieren. Das per ordre Mufti zu entscheiden steht ihr nicht zu. Die Städtepartnerschaften werden von uns Bürgerinnen und Bürgern getragen. 

Wir hören, dass eine entmilitarisierte Ukraine eines der Kriegsziele Russlands sei? Das ist in der Tat nötig, in einem entmilitarisierten Europa in einer entmilitarisierten Welt. Der Anfang könnte mit einem atomwaffenfreien Europa gemacht werden. Mit dieser Forderung schließen wir uns der ukrainischen pazifistischen Bewegung an. Zu ihr gehört Juri Scheliashenko, einem engen Mitarbeiter von Ruslan Kotsaba. Ruslan Kotsaba hat in der Ukraine schon vor Jahren zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen und ihm wird dort übel mitgespielt. Die pazifistischen Gruppen in Russland und Ukraine fordern „die weltweite Deeskalation und Abrüstung, die Auflösung von Militärbündnissen, die Beseitigung von Armeen und Grenzen, die Menschen trennen. Wir fordern eine sofortige Beilegung des bewaffneten Konflikts“. Weiter heißt es:

„Die Ukrainische Pazifistische Bewegung verurteilt alle militärischen Aktionen auf Seiten Russlands und der Ukraine im Rahmen des aktuellen Konflikts. Wir rufen die Führungen beider Staaten und die militärischen Kräfte auf, zurückzutreten und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frieden in der Ukraine und in der ganzen Welt kann nur auf gewaltfreiem Wege erreicht werden.

Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb sind wir entschlossen, keine Art des Krieg zu unterstützen und uns für die Beseitigung aller Kriegsursachen einzusetzen.“

https://www.versoehnungsbund.de/2022-02-24-krieg-in-der-ukraine

Wenn die Bundesregierung und der Bundestag wie angekündigt, 100 Milliarden und das  fortwährende Bereithalten von 2% des Bruttoinlandproduktes für Rüstungsgüter beschließen sollte, dann ist dies eine Umverteilung von Gemeineigentum in Privathände der Rüstungsindustrie und ihrer Anleger, eine Volksberaubung! 

Bei Rheinmetall knallen die Korken und umgehend wird angekündigt, dass 1000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Es ist zu bedenken, dass für die Errichtung eines industriellen Arbeitsplatzes in der Regel eine Million Euro an Investitionen nötig sind – dies, um zu ermessen, in welchen Dimensionen hier geredet wird! Dabei ist das Militär Klimakiller Nummer Eins! Die 100 Milliarden sind noch nicht durch. Werden sie beschlossen, werden sie fehlen, es wird zur kollektiven Armut der Mehrheit der Bevölkerung führen! 

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle Kriegsdienstverweigerer, gleich von welcher Seite und lehnen jeglichen Rassismus ab, auch den, der an der Grenze nach Europa die Flüchtlinge danach aussiebt, ob da welche sind mit dunkler Hautfarbe und krausen Haaren.

Als Christ frage ich mich: Ist die Betroffenheit durch den Ukrainekrieg jetzt so groß, weil „die Einschläge näher kommen“? Wer hat schlaflose Nächte verbracht, weil die Atomwissenschaftler die Weltuntergangsuhr erneut auf 100 Sekunden vor Mitternacht gestellt haben, so brenzlig ist die Weltlage? Wer hat wegen des Krieges im Jemen Tränen geweint? Wer interessiert sich dafür, wie das Chaos in Libyen genau aussieht, das die NATO-Einsätze dort hinterlassen haben? Der Krieg in Syrien ließ unseren Atem stocken, als auf einmal die von uns selbst mit hervorgerufene Flüchtlingsbewegung vor der eigenen Grenze stand – und danach?

Wofür ich als Christ in diesem Konflikt einstehe? Für die Feindesliebe!  Die Gegner willkommen heißen mit Tischen voll mit Brot und Wodka, wie es verschiedentlich in der Geschichte bereits geschehen ist (vgl. Birgit Berg: Weltkarte der Hoffnung. Freiburg 2000).

Auf welcher Seite ich als Christ stehe? Weder auf der russischen noch auf der ukrainischen Seite, sondern an der Seite der Opfer. Opfer haben keine Nationalität, sondern Bedürfnisse.

Voraussetzung dafür ist die Selbst-Entmilitarisierung, das Loslassen des Gewaltglaubens, der uns alle immer wieder bedrängt und in Fesseln schlagen möchte. Wie soll das gelingen? Durch das Zulassen der Barmherzigkeit.

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