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Syrien und Medien

Am Beginn der Konferenz in Montreux

Die Syrienkonferenz erscheint von Anfang an als Balanceakt auf dünnem Seil. Dennoch, es ist gelungen, zwei der innersyrischen Kriegsparteien an einen Ort zu bringen; ihre Beweggründe sind unterschiedlich wie die der außersyrischen Konfliktpateien, die ebenfalls zugegen sind. Wird es gelingen, wenigstens einen Waffenstillstand zu erreichen? Wenigstens in Teilen des Landes? Kann es schrittweise gelingen, die selbsternannten Gotteskrieger durch internationalen Druck zu isolieren und von ihren finanzstarken Quellen abzuschneiden?

Viel hängt von der zuschauenden Weltöffentlichkeit ab. Hier kommen die Medien ins Spiel.  Zweifel am Erfolg der Konferenz scheint berechtigt, aber man muss ihn nicht noch extra schüren, wo doch dem ganzen prekären Unternehmen auf das Heftigste ein positives Ergebnis zu wünschen ist.

Ungeheure Präsenz in allen Kanälen und Druckausgaben erhielt exakt zu Konferenzbeginn die Meldung, es lägen Fotodokumente über 11000 vom Assad-Regime zu Tode gefolterter Häftlinge vor. Die Meldung kam aus dem Emirat Katar und nennt als Quelle einen aus Syrien geflohenen Militärfotografen. Eine Pressekonferenz gab er nicht, Nachfragen, wie die Dokumente zustande kamen, sollen sich offenbar erübrigen. Wo und wann sind die Fotos gemacht? An einem Ort oder an mehreren? Gibt es Gesichter/Namen der Folterer? Welche syrischen Militäreinheiten waren zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen an dem betreffenden Ort stationiert? Mindestens das letztere müsste der zu eben diesem Militär gehörende Fotograf wissen. Fragen stellen gehört eigentlich zum journalistischen Handwerk, man vermisste das allerdings in der Vielzahl der eins zu eins übernommenen und immer wieder neu aufgelegten Tatsachenmeldung. Die Forderung der Linksfraktion im Bundestag nach einer unabhängigen internationalen Prüfung des Materials fand in dem großen Medien so gut wie kein Gehör.

Ebenfalls ohne nennenswertes deutsches Medienecho blieb die ungefähr zeitgleiche Veröffentlichung zweier US-Bürger, Richard Lloyd  (einem ehemaligen UN-Waffeninspekteur) und Theodore Postol, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT).  Sie haben am 14.1.14 eine Studie zum Giftgaseinsatz in Syrien vorgelegt und kommen zu einem für den hiesigen Medienkonsumenten überraschenden Ergebnis. Konkret geht es um den Giftgasangriff am 21.8.2013 auf die Region Ghuta bei Damaskus, der – damals umstandslos der Assad-Armee zugeschrieben – um ein Haar zu einem militärischen Eingreifen „des Westens“ (der USA?  der NATO unter deutscher Beteiligung?) geführt hätte. Unsere Leitmedien beteiligten sich seinerzeit tapfer an dem bekannten kriegseinleitenden „Die-Welt-kann-nicht-länger-zusehen“-Aufschrei. Ebenfalls Ende August 2013 kamen UN-Inspekteure nach Syrien, um Giftgaseinsätze im Land zu untersuchen. Ihr detaillierter Bericht liegt seit Monaten vor. Er benennt keinen Schuldigen, was zu der medial vorherrschenden Interpretation führte, die darin aufgelisteten Fakten ließen keinen anderen Schluss zu als dass Assad das Massaker von Ghuta habe anrichten lassen. In verkürzter Form ergab sich die Nachricht, nach UN-Erkenntnissen vergifte Assad nun seine Bevölkerung. Mehr oder weniger elegant formuliert ging diese Meldung monatelang durch Nachrichten, Analysen, Hintergrundberichte.

Die Studie von Lloyd und Postol kommt dagegen zu folgendem Ergebnis: Die Trägerraketen des Angriffs vom 21.8. hatten eine Reichweite von zwei Kilometern (so steht es auch im UN-Bericht). Die Autoren zogen eine von der US-Regierung am 30.8. veröffentlichte Geheimdienstkarte des Frontverlaufs im syrischen Bürgerkrieg in dieser Region zu Rate: danach kann es nicht die syrische Armee gewesen sein, die das Giftgas auf Ghuta geschossen hat.

https://www.documentcloud.org/documents/1006045-possible-implications-of-bad-intelligence.html

Lloyd und Postol werfen dem US-Geheimdienst  Falschinformation mit weitreichenden Folgen vor, denn die „hätte zu einer ungerechtfertigten US-Militäraktion aufgrund falscher Nachrichten führen können“ und  „eine genaue Überprüfung der Tatsache, dass die Waffen eine solch geringe Reichweite hatten, hätte zu einer völlig anderen Bewertung der Situation auf Grundlage der gesammelten Daten geführt.“

Lloyd und Postol sprechen von „ungeheuerlichen Fehlern der Geheimdienstarbeit“. Man kann die Sache auch anders sehen: dass hier zielbewusste Kriegstreiber am Werk waren.

Wo bleiben die Journalisten, die nicht alles glauben, was ihnen serviert wird, sondern kritisch hinterfragen? Die dem Mainstream unpassende Meldungen nicht einfach unter den Tisch fallen lassen? Die sich überlegen,was ihre Informationsauswahl eventuell für den Fortgang der zerberechlichen Konferenz von Montreux bedeutet?

 

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